Haben oder Sein? Christian Berg im Gespräch
Herr Prof. Dr. Berg, wer ist Christian Berg?
Das ist zu Beginn gleich die schwierigste Frage. Da suche ich seit fünfzig Jahren nach der Antwort. Ein Mensch, der das Leben, seine Familie, die wunderbare Welt um uns herum liebt, der die Welt wahnsinnig faszinierend findet, der sich für fast alles begeistern kann, der sehr gerne andere Leute mit Begeisterung für Dinge und Zusammenhänge mitreißt, die er als interessant, wichtig und auch schützenswert erkannt hat.
Bereits vor fünfzig Jahren veröffentlichte der Club of Rome seinen Bericht »Die Grenzen des Wachstums«. Eigentlich müssten wir wissen, was zu tun ist. Wieso klappt das nicht?
Ich beschäftige mich insgesamt schon zwanzig Jahre mit dem Thema Nachhaltigkeit und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es viele unterschiedliche Gründe hat. In der öffentlichen Diskussion neigen wir dazu, immer nur ein Thema zu priorisieren. Vieles hat mit den politischen Rahmenbedingungen und den Preisen zu tun. Die Preise geben nicht die ökologische Wahrheit wieder, oft auch nicht die soziale. Und dann hat es natürlich auch mit dem inneren Schweinehund zu tun. Und mit der Frage der Identität: Wer bin ich? Definiere ich mich über das, was ich konsumiere? Oder über das, was ich bin? Diese Frage hat Erich Fromm schon vor fünfzig Jahren gestellt: Haben oder Sein? Anstatt zu konsumieren und zu verbrauchen sollten wir Dinge nutzen. Ein Verbraucher nimmt ein Stück vom Kuchen, das anderen nicht mehr verfügbar ist. Ein Nutzer sagt: Okay, ich nutze und andere können auch nutzen. Das könnte auch für eine neue Kultur prägend werden.
»Wer bin ich? Definiere ich mich über das, was ich konsumiere? Oder über das, was ich bin? Diese Frage hat Erich Fromm schon vor fünfzig Jahren gestellt: Haben oder Sein? Anstatt zu konsumieren und zu verbrauchen sollten wir Dinge nutzen.«
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Christian Berg
Also Nachhaltigkeit neu gedacht?
Ich habe dazu ein Buch geschrieben, in dem ich mir die Frage stelle: Ist Nachhaltigkeit utopisch? Der Titel ist vielleicht nicht so sexy, aber er hat einen Doppelsinn. Erstens wissen wir seit Jahrzehnten, was wir tun müssten, und tun es trotzdem nicht, oder zu wenig. Da kann man verrückt werden, die Flinte ins Korn werfen und fragen: Werden wir die Nachhaltigkeit jemals erreichen können? Der zweite Punkt ist: Wir haben in der Vergangenheit viele Böcke geschossen, wenn wir meinten, dass wir jetzt Bescheid wüssten. In den 1930er-Jahren haben wir zum Beispiel eine Krötenart aus Lateinamerika nach Australien eingeführt, weil wir dachten, dies sei ein gutes Insektenvernichtungsmittel. Leider hat die Aga-Kröte keine natürlichen Feinde in Australien und hat sich mittlerweile auf 600.000 Quadratkilometern breitgemacht. Sie produziert ein Gift, das alle anderen Fressfeinde tötet. Das war eine gut gemeinte Aktion, die leider ziemlich danebenging. Deshalb sollten wir Maßnahmen stets mit Augenmaß umsetzen und zunächst damit anfangen, das zu reduzieren, von dem wir sicher wissen, dass es schlecht ist.
Jetzt sprechen Sie in Ihrem Buch auch von Nachhaltigkeitsbarrieren. Was meinen Sie damit?
Es gibt sehr viele solcher Barrieren. Beispiel: Wir haben als Menschen ein ganz schlechtes Empfinden für exponentielle Zusammenhänge. Wir sehen das in der Corona-Pandemie. Manche Leute haben gesagt: Na ja, mit Blick auf die Intensivstation ist die Lage nicht so dramatisch, wir haben doch immer noch freie Betten. Was man nicht sah, ist der Zusammenhang von hohen Infektionszahlen und stark belasteten Intensivstationen Wochen später. Ich nenne eine solche Barriere »kognitive Begrenzung«, da wir Menschen nicht in komplexen Zusammenhängen denken. Eine andere Barriere ist moralischer Art, weil wir häufig an uns denken. Auch der innere Schweinehund ist so eine Barriere. Wir wissen, wir müssten mit dem Rauchen aufhören, mehr Sport machen …
… und tun es trotzdem nicht.
Richtig. Dann gibt es soziale Barrieren. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Ungleichheiten in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten größer geworden sind. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Frage »Wie ungleich ist eine Gesellschaft?« und »Wie viele Probleme hat sie?«. Das untersuchten britische Wissenschaftler vor rund zehn Jahren, und erstaunlicherweise spielt der Wohlstand fast keine Rolle bei der Frage nach den Problemen. Das heißt: Es gibt arme Länder, in denen es relativ gleiche Bedingungen gibt, aber wesentlich weniger Probleme als in reichen Ländern.
»Wir haben als Menschen ein ganz schlechtes Empfinden für exponentielle Zusammenhänge.«
Siehe USA.
Gerade die USA sind ein sehr markantes Beispiel, ein reiches Land, sehr ungleich, mit massiven sozialen Problemen. Wieso das in den Kontext der Nachhaltigkeit gehört? Weil wir die Dinge im Zusammenhang verstehen müssen: Wenn wir über die Klimaproblematik reden, reden wir auch von sozialer Gerechtigkeit. Verstehen wir das nicht, driftet unsere Gesellschaft auseinander, mit der Folge, dass die populistischen Parteien zunehmen.
Gibt es auch Barrieren, die vom Menschen selbst geschaffen sind?
Sicher. Die großen Institutionen, der Markt, das Recht, die Politik und natürlich auch die Technik. Wir reden heute über eine CO2-Steuer, die nichts weiter ist als der Versuch, ein Marktversagen auszugleichen. Ein weiteres Problem im Bereich der Politik ist, dass wir globale Herausforderungen haben, aber keine effektiven globalen Institutionen. Die UN ist manchmal ein zahnloser Tiger. Wir brauchen letztlich auch eine Geopolitik. Wie schwierig das ist, haben wir nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gesehen, mit dem Erstarken Chinas oder dem Populismus Donald Trumps. Wie will man einen solchen Hühnerhaufen auf eine Linie bringen?
»Wir brauchen letztlich auch eine Geopolitik. Wie schwierig das ist, haben wir nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gesehen, mit dem Erstarken Chinas oder dem Populismus Donald Trumps. Wie will man einen solchen Hühnerhaufen auf eine Linie bringen?«
Was können wir da tun?
Es gibt keine pauschale Antwort. Wir werden aus meiner Sicht um verlässliche internationale Kooperationen nicht herumkommen. Wir brauchen multilaterale Verträge und internationale Übereinkommen, so schwierig die auszuhandeln und so unvollkommen sie auch sind. Wir dürfen uns aber nicht ausbremsen lassen und mit den »Willigen« schneller vorangehen. Mal ein Beispiel: Das Pariser Klimaabkommen ist ein Abkommen, das völkerrechtlich verbindlich ist und das praktisch alle Staaten der Welt unterzeichnet haben. Aber es wird nicht reichen, das heißt, wir müssen mit anderen Allianzen weitergehen.